von Anouk Schlung, Sonja Foth und Timur Gökce
““Es ist genau 5:54 Uhr, ich bin auf dem Weg zur Arbeit, bin vor genau einer Stunde aufgestanden. Ehm und ja möchte heute einmal einen kleinen Einblick in den Alltag einer Krankenschwester geben.”
Das ist Janine. Sie arbeitet als leitende Krankenpflegerin in einem Berliner Krankenhaus. Genauer gesagt auf einer peripheren Normalstation. Janine heißt aber in Wirklichkeit anders, doch sie möchte im folgenden Beitrag weder ihren noch den Namen des Krankenhauses nennen. Der Grund: Der von ihr gewährte Blick in den Alltag ist nicht immer rosig…"
Mit diesen Worten beginnt die Sendung vom 02.05.21. Sie zeichnet ein eindrückliches Porträt von der Realität der Pflege, von den Herausforderungen, dem Alltag, von dem was gut ist und dem was es nicht ist. Janine stand den Fragen von den Redakteurinnen Sonja und Anouk Rede und Antwort, ließ nichts aus und beschönigte nichts. Auf diese Weise gab sie uns und den Hörer*innen Einblicke in den Pflegeberuf, die jemanden der sich mit der Thematik nicht auskennt mehr als nur beeindrucken. Janine sprach nicht nur darüber, warum sie Pflegerin wurde oder wie es sich anfühlt beklatscht zu werden, sondern erzählte uns auch auf eindrückliche Weise, was ihre persönliche Kritik an der aktuellen Gesundheitspolitik ist und was sich gesamtgesellschaftlich ändern muss.
A- Hast du das Gefühl dass viele Menschen falsche Vorstellungen vom Pflegeberuf haben?
J- Ja also ich meine die Pflege als solches definiert sich ja relativ einfach und Ich glaube nicht, dass die Leute eine falsche Vorstellung von der Pflege haben, allerdings aber das große und Ganze in der Pflege ein bisschen vergessen. Also die Pflege ist sehr viel vielfältiger als manche meinen, dabei geht es nicht nur darum Windeln zu wechseln oder Urinflaschen anzulegen. Wir sind ja praktisch das Bindeglied zwischen Patient*innen und Ärzt*innen und sind die ersten die es merken, wenn irgendwas passiert und müssen natürlich auch dementsprechend achtsam sein und bestimmte Sachen halt auch einfach wissen. Da gehört der Wissensstand, den wir uns aneignen dazu und aber auch die Erfahrung die wir in der Pflege sammeln.
A- Bevor du selber Pflegerin wurdest, wusstest du schon genau wie der Beruf läuft und wie es sein wird oder haben sich deine Erwartungen an den Job verändert vom Arbeitsbeginn zu heute?
J- Jede*r geht wahrscheinlich ein bisschen naiver in einen Job oder eine Ausbildung rein und merkt dann am Ende, dass das doch sehr viel mehr umfasst als man am Anfang gedacht hat. Ich habe relativ schnell in der Ausbildung gemerkt, dass es doch sehr viel mehr Verantwortung ist als man eigentlich glauben mag.
A- Wie kam es eigentlich dazu, dass du Pflegerin geworden bist?
J- Ich habe natürlich einen familiären Hintergrund, ich glaube das ist bei Vielen die in die Pflege oder den medizinischen Bereich gehen so, dass sie in einer gewissen Weise geprägt sind.
A- Würdest du sagen, dass die Sachen die damals deine Motivation und dein Antrieb waren, dass du die heute verwirklichen kannst, auch jetzt im Hinblick auf die aktuelle Situation mit der Pandemie?
J- Ja naja ich meine den Personalmangel gibt es schon seit ein paar Jahren, also genauer gesagt eigentlich seit 20 Jahren und das hat natürlich die Pandemie auch nicht sehr viel besser gemacht. Es ist natürlich auch noch bei weitem aus schwieriger geworden, weil die Umstände einfach noch schlimmer sind und ich meine… ja, ich ich finde es dann immer toll wenn es dann Patient*innen gibt wo man sieht, ok die sind jetzt wieder genesen, man war einen Teil dabei und das hat alles funktioniert und das war gut und die sind auch dankbar dafür. Viele sind sehr dankbar dafür, aber es ist natürlich mit den aktuellen Umständen wirklich noch schwieriger geworden bestimmte Sachen zu verwirklichen wo man am Anfang gehofft hatte, dass das ein bisschen leichter wäre.
A- Ich kenne viele Leute die haben auf der Bucket-List zu stehen ein Menschenleben retten und das ist ja das, was du jeden Tag machst.
J- Ja Leben retten ist gut gesagt, also es ist jetzt nicht so dass wir das den ganzen Tag machen, aber zum Menschenleben retten gehört ja auch dazu Gespräche zu führen oder Leute aus tiefen Phasen ihres Lebens vielleicht wieder raus zu holen, beziehungsweise die Zeit, die sie im Krankenhaus sind, schöner zu machen.
A- In dem Einstieg haben wir gehört, dass du in deiner Schicht für 10 Betten alleine verantwortlich warst. Erinnerst du dich noch daran, wie es war das erste Mal alleine, oder zu zweit eine Station bestreiten zu müssen?
J- Also es ist so dass wir bei uns gerade im Spätdienst immer zu zweit sind und der Nachtdienst oft auch alleine besetzt ist. Das heißt man ist für die 30 Patient*innen allein zuständig. Das liegt halt so ein bisschen daran, dass man denkt, ok nachts schlafen die Patient*innen, aber das ist auf meiner Station tatsächlich nicht so der Fall. Die Patient*innen suchen sich ja auch nicht aus wann es ihnen schlecht geht und das passiert oft leider auch nachts. Teilweise wünscht man sich dann manchmal, dass man sich zerteilen könnte
A- Es ging ja auch sehr stark um das Klatschen am Anfang der Pandemie. Wie fühlt sich das für dich denn eigentlich an beklatscht zu werden?
J- Also am Anfang fand ich es tatsächlich irgendwie… nicht witzig, aber man hat es so belächelt tatsächlich. Wir haben natürlich alle gehofft, dass es den Druck auf die Politik erhöht aber letzten Endes, was haben wir davon gesehen? Die Corona Prämie, aber das haben ja viele andere Betriebe auch. Also es ist es ist eine nette Geste aber wie gesagt der Druck auf die Politik hat nicht gewirkt.
A- Auch wenn du jetzt nicht auf einer Intensivstation arbeitest, aber hast du das Gefühl seit Corona mehr Arbeit zu haben?
J- Definitiv, ja. Einerseits natürlich, weil wir viele im Personal hatten die erkrankt sind. Das heißt wir hatten sehr viel mit Krankheitsausfällen zu tun, was wiederum von den restlichen Kolleg*innen ausgeglichen werden musste. Auf der anderen Seite sollten wir dann aber Überstunden abbauen, also vom Krankenhaus her, von der Krankenhausdirektion, was total paradox war. Das war dann echt immer ein hin und her. Und natürlich haben wir auch das Problem, dass die Intensivstation frei gehalten werden, oder belegt werden von Coronapatient*innen die es dann schwer getroffen hat, was auch vollkommen korrekt ist, aber das bedeutet wiederum für uns, dass wir dann Patient*innen da haben die eigentlich intensivpflichtig wären aber kein Bett aktuell frei haben. Und mit dem Personalschlüssel den wir gerade haben kann es tatsächlich auch dann ab und an mal passieren, dass ein*e Patient*in auch leider bei uns verstirbt.
A- In wessen Verantwortung würden denn die Veränderungen im Pflegeberuf liegen? Beim Staat, beim Krankenhaus?
J- Ich denke es ist beides so ein bisschen, ich meine das Krankenhaus selber kann ja auch viele Entscheidungen selber treffen, oder sich dafür stark machen. Ja vom Staat oder von der Regierung denke ich, dass man da auf jeden Fall den Leuten mehr zu sprechen sollte. Also dass bestimmte Sachen nicht kleingeredet werden, sondern dass man sich dafür stark macht. Ich glaube was die Pflege eigentlich braucht ist ein Verbund, wie eine Kammer, die sich dafür stark macht. Die klar macht, dass wir trotz Systemrelevanz unsere Würde nicht vergessen.
A- Was würdest du sagen muss passieren, damit in den Augen der gesamten Gesellschaft die Pflege wieder attraktiver wird?
J- Ich kann mir vorstellen, dass es auf jeden Fall auch noch besser wäre, wenn die Pflege noch ein paar mehr Tätigkeiten machen könnte um tatsächlich das gesamte Berufsbild attraktiver zu machen. Das wird ja jetzt auch langsam, es geht in die Richtung, dass die Pflege akademisiert wird, Studiengänge entstehen und man dann auch längerfristig tatsächlich mehr Sachen machen darf die sonst vielleicht ein*e Arzt*in auch übernommen hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass es für viele attraktiver ist dann in die Pflege zu gehen.
A- Es war mir tatsächlich gar nicht bewusst, dass im Pflegeberuf scheinbar das Reden mit den Patienten auch so wichtig ist. Würdest du sagen, dass dieser Aspekt, ein großer Teil ist?
J- Auf jeden Fall und ich finde es macht fast den größeren Teil des Ganzen aus, was auf der anderen Seite dann wieder so traurig ist, dass wir gar nicht so viel Zeit dafür haben. Ich meine natürlich findet man bei der Körperpflege Zeit für Gespräche, aber wenn ich jetzt auf die Uhr gucke und sage, Na ja ich hab jetzt nur 20 Minuten Zeit um die Körperpflege zu machen, dann fallen halt die Gespräche hinten runter. Ich meine im Krankenhaus, gerade bei uns, sind sehr schwer kranke Patienten*innen wo wichtige Entscheidungen voranstehen und die dann psychisch wirklich sehr fertig sind. Wir sind ja diejenigen die tatsächlich die ganze Zeit da sind und denen als erstes auffällt, wenn irgendwas ist. Dann ist es das wichtigste, dass jemand motiviert wird und von der Pflege viel Unterstützung auch auf der psychischen Ebene bekommt. Dann habe ich das Gefühl, dass diejenigen schneller genesen.
A- Für die Leute, die mit dem Gedanken spielen in die Pflege zu gehen, hast du da einen Tipp oder auch mehrere?
J- Also Ich glaube wichtig ist zu versehen, dass die Pflege nicht nur Pflege ist, sondern super super vielfältig. Und das wichtigste ist die Kollegialität. Denn man kommt selbst an Grenzen. Jede*r hat Stärken und Schwächen und mit einem guten Team kann man die Stärken und Schwächen dann in Einklang bringen und natürlich auch die Erfahrungen verarbeiten.
A- Was möchtest du noch teilen, was dir besonders wichtig ist?
J- Das wichtigste an der Geschichte ist, dass der Pflegemangel und der Pflegenotstand nicht in Vergessenheit gerät, wenn die Pandemie Situation vielleicht irgendwann nochmal vorbei sein sollte. Dass wir weiter daran arbeiten und motiviert sind die Pflege zu verbessern, das Leute motiviert werden in die Pflege zu kommen!
Die ganze Sendung findet ihr hier: https://open.spotify.com/episode/1mxD1MTVlf9grXBgypQAgm?si=637sPUJ5R2STFbqltMcqzQ&nd=1
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